Kein Netz, aber Internet. Viel frische Luft, doch alle rauchen. Die Berge sind hoch wie die Zacken einer Krone, die Täler sind tiefe Schnittwunden im Fleisch. Bosnien-Herzegowina ist widersprüchlich wie Tag und Nacht, ein Landesname der nicht von ungefähr kommt. Scharfe Kontraste prägen das Land nicht, sondern scheinbar unüberwindbare Gräben. Ich sitze in einer Bar aus Holz, alles ist aus Holz, draußen schneit es bei -10°C. Die Wände sind mit offenem Stroh gedämmt, in der Mitte brennt ein Feuer. Um das Feuer herum, gelehnt gegen die Strohballen, rauchen die Serben, betrinken sich.
Dieser Ort lebt davon, dass man hier etwas trinkt. Es ist billig, sonst würde keiner kommen, deshalb geben aber auch alle immer wieder eine Runde aus. In Deutschland hat mir schon lange keiner mehr eine Runde ausgegeben. Hier werde ich Mal ums Mal eingeladen. Ich zahle selber, hatte nie wirklich Geld dabei, aber das ist hier normal. Es geht jedem so. Ich habe seit Tagen keinen Bankautomat gesehen und lebe deshalb seit zwei Tagen von 15 KM (circa 7,5 €) und einer Tüte voller Essen. Wenn ich essen gehe, dann nur mit Russen oder Serben. Es gibt dann zwar nur Fleisch und Chevapchi, dafür kostet es aber fast nichts. Dabei wird geraucht und getrunken.
Die Polizei kümmert es nicht, wenn du rauchst. Die Polizei kümmert es nicht, wenn du trinkst. Wenn du danach Auto fährst, kümmert es sie erst recht nicht. Die Polizei kümmert es nur, wenn du schneller als erlaubt fährst. Aber hier leuchten alle auf, wenn eine Radarkontrolle auf den nächsten 10 Kilometern steht. Ganz nebenbei, hier hat keiner ein Gefühl für Entfernungen. Alles ist nur einen Kilometer weg, auch Deutschland. Hier reden alle von Deutschland, als sei es das Nachbarland. Deutschland wird geliebt, denn alles Geld das vor Ort ist, wird in Deutschland verdient, seit Generationen.
„Mein Herz ist Serbisch, aber meine Lunge atmet Deutsche Luft“, Vlado ist besoffen wie eine Sau und spuckt mir ins Gesicht. Den Ami neben mir fährt er nur dumm an, von wegen wie er an einen so friedlichen Ort gefunden hat, mich umarmt er. Die Sabber läuft ihm aus dem rechten Mundwinkel und bahnt sich einen Weg durch seine Bartstoppeln, beim Sprechen fliegen die Rotzfetzen in meine Richtung. Meine Wunden von der letzten Prügelei freuen sich über die Feuchte. In der Bar ist die Luft sehr trocken, deshalb schmerzen die Wunden. Die harten Krusten in meinem Gesicht beißen sich bei jedem Lächeln in die Haut. Ich hoffe, dass Vlados Spucke das ändert. Auch wenn es mit der zunehmenden Menge nicht mehr Angenehm ist, ich wische die Spucke nicht weg; er würde es mir übel nehmen. Ich bin doch sein deutscher Bruder. Er küsst mich brüderlich an den Hals, umarmt mich und presst mir unter Freudentränen ein weiteres Bier in die Rippen. Als die Rippe sich schon taub anfühlt, nehme ich auch diese Pulle wieder in die Hand. Es ist das neunte Bier an dem Abend, Kurze zählt man nicht. Sie sind sowieso 0,5 cl, man trinkt sie mit, wie Wasser zum Bier.
In der Gesellschaft, die ich hier genieße, wird man nicht betrunkener. Vlado ist immer voller, Nadeschda wirkt immer nüchtern, auch wenn sie voll in der Ecke hängt. Die Türe fliegt auf, Vlados Onkel bringt ein Blech Hühnchen mit Gemüse herein. Es schmeckt atemberaubend gut. Gegessen mit den Fingern, schmeckt es doppelt so gut. Und hätte ich es anders erwartet, am Schluss bleibt nur das Gemüse übrig. Niemand isst das Zeug hier gerne, Gemüse macht keine Muskeln verrät mir Burak. Er hat keinen Pass wie ich herausfinde, er ist Wildling. Aber er scheint die Weisheit mit Löffeln gefressen zu haben, denn er dreht sich um und ruf „Naaaaaadjjjjaaa.“ Nadya, die Russin aus Moskau kommt vom Speicher herunter, sie ist seit 3 Jahren auf Reisen, arbeitet online, hat aber keine Lust auf Moskau. Nadya kommt, setzt sich hin und isst das Gemüse. Daniel bemerkt am Rande: „Sie ist Vegetarierin.“
Ich muss mich zusammenreißen, damit ich nicht laut loslache. Dann verschwindet Nadya wieder im Bett. Es hat ja auch nur noch -5°C, da kann man ruhig mal auf dem Speicher schlafen.
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