Ich bin ein Monster

Nachdem der letzte Text es geschafft hat die Kommentarfunktion einzuweihen, bin ich jetzt glücklich, dass Meinungen doch noch kund getan werden.

Darum gibt es hier wiederum einen Textanfang, der seine eigene Moral hat!

Viel Spaß beim Lesen!

 

 

Ich hänge am Baum - an einem langen Strick - baumle im Wind und stoße mich immer wieder vom Boden ab. Der Moment, in welchem ich ganz oben bin - kurz bevor ich falle - das ist der Moment, den ich einfangen will. Meine Schaukel ist aus Holz, ein bisschen unbequem, alt, von meinem Vater. Wenn ich ganz oben bin, dann fühle ich mich frei, vorurteilsfrei.

Ich bin ein Monster und das sage ich mit Stolz. Ich  habe schon seit Jahren Haare auf dem Rücken, auf der Haut, im Gesicht, auf dem Kopf, auf den Zähnen und, auf den Füßen. Alle starren mich an, wenn ich auf meiner Schaukel sitze und bis in die höchste Höhe schaukele. Junge Mädchen finden mich süß, sie wollen mit mir kuscheln. Ich kuschele auch gerne mit ihnen, es macht mir richtig Spaß. Die Mädchen denken ich wäre ein Affe - oder irgend so ein Tier – darum finden sie es süß, wenn ich schnurre. Doch der Spaß ist nur von kurzer Dauer. Ich schnurre nur, wenn sie mir meinen Bauch und die Beine streicheln. Ich schnurre nur, wenn mir das Blut in die Lenden schießt. Dann, vergeht ihnen das Lachen und das Gucken, dann sind sie verschämt und erstaunt, wenn sie fühlen wie ich gebaut bin. Dann vergeht ihnen erst recht das Lachen, wenn ich mit ihnen Rede, in ihrer Sprache, mit ihrem Dialekt, von Mensch zu Mensch. Sie bekommen Angst wenn sie sich rechtfertigen müssen, für ihre Taten. Große Augen und entsetzt geweitete Pupillen belohnen mich, wenn ihnen der Schreck aus dem Magen in die Beine fährt und eine innere Unsicherheit sie möglichst weit fliehen lässt.

Ich kenne diese Unsicherheit so gut, dass ich mich immer wieder freue sie in ihren verengten Augen zu sehen. Ich kenne diese Angst so gut, dass sie mir mein Leben lang nicht aus der Nase gehen will. Der Geruch der Flucht, von altem Wasser, Dreck und Abfall, von Abgas und meinem eigenen Schweiß. Die Unsicherheit hat mich durch mein ganzes Leben begleitet und mir meinen Weg bereitet. Immer wahlweise zum Nachteil oder zum Vorteil.

Mit sechszehn schenkte mir mein Vater einen Rasierapparat, für meinen Bart. Er ahnte nicht, dass ich seit diesem Tag endlich die Schere auf die Seite legte und ein T-Shirt anziehen konnte. Er hatte  nicht bemerkt, dass ich jeden Morgen zwei Stunden vor der Schule aufgestanden war und mir in aller Ruhe die Haare zurecht gemacht hatte. Ich hatte sie mir gestutzt, gekürzt, getrimmt, mit Mutters alter Stoffschere. Doch Vaters Geschenk erlöste mich von der Qual des Beschneidens Tag um Tag.

Meine Mode änderte sich, von Pulli zu T-Shirt, denn endlich konnte ich meine Arme sehen lassen in der Schule. Alle zwei Stunden ging ich auf die Toilette und rasierte mir die Haut auf den Armen, die Wimpern und die Wangen im Gesicht. Für fünf Minuten war meine Haut so glatt und fest wie kalter Stahl. Dann trieben die harten Statements meines Ich wieder aus der Haut. Ich wusste, dass ich genauso normal war wie ein Geschwür an einer schönen Frau. Nicht wie ein Makel den man leicht entdeckt, sondern wie ein Geschwür, dass immer da ist, das sie mit Kunst und Chemie versteckt, woran sie später stirbt. Aber ich war ein Mann und ich brauchte nur eine Klinge und eine Seife um meine Natur in den Griff zu bekommen. Man hatte sich schon in meiner Kindheit über die harte Haut gewundert, Mein Vater hatte mir deshalb immer erzählt ich wäre in Drachenblut gebadet worden. Meine Mutter starb bei meiner Geburt. Seitdem ich das erfahren habe höre ich sie nachts schreien und keuchen, ich sehe ihre roten Augen, ich sehe ihre Stärke. Ihre Augen tränen rot und wollen ihr aus dem Kopf springen, auf ihre weiße Haut und ihr schneeweißes Haar. Kurz bevor ich aufwache höre ich sie brüllen.

Seit diesem Tag kenne ich die Unsicherheit. Ich kenne sie wie meine Mutter, ich kenne meine Mutter nicht, aber ich habe die Unsicherheit ihres Todes. Ich habe die Sicherheit sie getötet zu haben, genauso Sicher ist mir die Liebe meines Vaters. Von dem Tag an, war ich ein Monster für meinen Vater. Er liebt mich glaube ich, er hasst mich glaube ich, aber ich bin mir nicht sicher. Ich fühle mich als wäre ich ein Leben lang vor ihm weggerannt, auf einem Laufband. Ich weiß er schätzt es, dass ich renne, nur deshalb mag er mich, weil ich mir meiner Schuld bewusst bin.......

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Fei(s)ste Worte

Feisste Worte war mein erstes Buch. Dazu entstand der Blog, mehr Recht als Schlecht gepflegt. Ein Ort der Krakelei. Der Erfüllung. Ein Ort vieler Punkte. Mit Kommas habe ich es nicht so.

 

 

In dem Sinne. Arbeiten Sie weniger und lesen Sie mehr. Die Wahrscheinlichkeit, dass Lesen sie glücklich macht ist deutlich höher.

 

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